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Exekutivfunktionen und ADHS

  • Susanne Debbas
  • 28. Apr.
  • 7 Min. Lesezeit

Um die Komplexität von ADHS zu verstehen, führt kein Weg an den Exekutivfunktionen vorbei. Der Blick ins Gehirn kann uns helfen, die verschiedenen Symptome von ADHS besser einzuordnen, die Unterschiedlichkeit jedes einzelnen Menschen mit ADHS nachzuvollziehen und passende Strategien für jede individuelle Herausforderung zu entwickeln.


Was sind Exekutivfunktionen?


Exekutive Funktionen sind die Fähigkeiten unseres Gehirns, komplexe Aufgaben zu bewältigen und uns in einem sich ständig verändernden Umfeld zurechtzufinden.


Exekutivfunktionen kannst du dir wie einen Manager vorstellen, der in deinem Gehirn viele komplexe Aufgaben koordiniert, überwacht und unterstützt. Du brauchst ihn vor allem für jene Aufgaben, die du bewusst managen und nicht auf Autopilot erledigen kannst.


Dieser innere Manager plant deinen Tagesablauf, entscheidet gemeinsam mit dir, welche Aufgaben zuerst erledigt werden, lässt dich pünktlich beginnen, erinnert dich zuverlässig an wichtige Dinge und hilft dir, flexibel und kreativ auf unerwartete Situationen zu reagieren und dabei deine Emotionen im Griff zu behalten.


Vereinfacht gesagt sorgen die Exekutivfunktionen dafür, dass du gut durch den Tag kommst und deine kleinen und großen Ziele im Leben Schritt für Schritt erreichst.



Welche Exekutivfunktionen gibt es?


In der Forschung gibt es verschiedene Modelle, die Exekutivfunktionen beschreiben – eines der bekanntesten und besonders praxisnahen Modelle stammt von Dawson & Guare. Dieses Modell umfasst zahlreiche verschiedene Fähigkeiten, von denen einige besonders relevant für Menschen mit ADHS sind:


  • Arbeitsgedächtnis: Dein Arbeitsgedächtnis kannst du dir wie einen mentalen Schreibtisch vorstellen, auf dem du Informationen kurzfristig ablegst und gleichzeitig aktiv bearbeitest. Wenn du beispielsweise mehrere Anweisungen bekommst – „Bericht lesen, wichtige Punkte herausfiltern, To Dos davon ableiten und dem Team präsentieren“ – leistet dein Arbeitsgedächtnis Großartiges.


  • Impulskontrolle: Diese Fähigkeit schützt dich wie ein wohlwollender Sicherheitsdienst davor, dass spontane Impulse oder Ablenkungen dich von deinem Weg abbringen. Wenn beispielsweise auf dem Handy eine Nachricht erscheint, schützt dich die Impulskontrolle davor, sofort nachzusehen. Wenn es zu einem Konflikt kommt, hilft sie dir dabei, ruhig zu bleiben und konstruktiv zu reagieren. Weniger Impulskontrolle kann aber auch größere Spontaneität bedeuten, eine oft wertgeschätzte Eigenschaft.


  • Zeitmanagement: Zeitmanagement wirkt wie dein innerer Kalender, der dich dabei unterstützt, deine Zeit wahrzunehmen, bewusst einzuteilen, Fristen im Blick zu behalten und Aufgaben rechtzeitig anzugehen. Menschen mit ADHS empfinden Zeit manchmal intensiver und weniger linear – was bedeuten kann, dass du die Zeit vergisst und Termine verpasst oder aber in den tiefsten Hyperfokus gerätst.


  • Emotionsregulation: Diese Funktion ist dein innerer emotionaler Thermostat, der dir hilft, deine Gefühle bewusst wahrzunehmen und zu regulieren und dabei wertschätzend mit dir selbst umzugehen, insbesondere in stressigen Momenten. Zwar kann das Regulieren von Emotionen bei ADHS herausfordernd sein, doch bringt es gleichzeitig eine besondere Sensibilität und Empathie für andere Menschen mit sich.


  • Organisation: Organisation ist wie ein übersichtlicher Werkzeugkasten, in dem du alle deine Hilfsmittel griffbereit hast, um deine Aufgaben strukturiert und mit Leichtigkeit anzugehen. Obwohl es manchmal schwierig sein kann, Ordnung zu halten, findest du oft kreative und individuelle Lösungen, wenn ein Tool gerade nicht greifbar ist.


Neben diesen wichtigen Funktionen beschreiben Dawson & Guare weitere wertvolle Exekutivfunktionen wie Planung, Priorisierung, Aufgabeninitiierung, Zielsetzung, Selbstreflexion und Anpassungsfähigkeit. All diese Fähigkeiten wirken gemeinsam, um deinen Alltag auf eine einzigartige und für dich passende Weise zu steuern.


Indem du deine Exekutivfunktionen besser kennenlernst, kannst du deine bereits vorhandenen Stärken noch bewusster nutzen und gezielt Unterstützung finden, wo du sie möchtest und brauchst. ADHS bringt neben Herausforderungen immer auch besondere Potenziale und Ressourcen mit sich, die du durch dieses Wissen noch besser entfalten kannst.


Vier Personen sitzen an einem Tisch und arbeiten miteinander.

Wofür brauchen wir Exekutivfunktionen?


Exekutivfunktionen brauchst du, um Herausforderungen in verschiedenen Lebensbereichen mit Klarheit und Gelassenheit zu meistern. Sie helfen dir vor allem dann, wenn Routinen allein nicht ausreichen und du bewusst, flexibel und zielgerichtet handeln möchtest.


Schule und Studium: Im schulischen und universitären Bereich unterstützen dich Exekutivfunktionen dabei, komplexe Lerninhalte leichter aufzunehmen, strukturiert Hausaufgaben zu erledigen und Prüfungen gut vorzubereiten. Ein gut funktionierendes Arbeitsgedächtnis und effektive Organisation erleichtern es dir, Lernmaterialien besser aufzunehmen, zu strukturieren und rechtzeitig zu bewältigen. Mit ADHS kann das Lernen daher schwierig sein – häufig aber auch sehr kreativ und effizient.


Beruf: Im Job ermöglichen dir Exekutivfunktionen, komplexe Aufgaben strukturiert anzugehen, Deadlines im Blick zu behalten und flexibel auf unerwartete Situationen oder neue Anforderungen zu reagieren. Sie unterstützen dich dabei, Meetings zu moderieren, Prioritäten klar zu setzen und produktiv mit Kolleginnen zusammenzuarbeiten. Wenn einzelne Exekutivfunktionen beeinträchtigt sind, kann es zwar anspruchsvoll sein, den Überblick zu behalten – gleichzeitig entstehen oft wertvolle Impulse oder kreative Lösungen für dein Team.


Privatleben: Im persönlichen Bereichen sorgen Exekutivfunktionen dafür, wichtige Termine im Blick zu behalten, deinen Alltag zu organisieren und Verantwortung für Finanzen, Haushalt, Familie oder Reiseplanung zu übernehmen. Wenn sie geschwächt sind, kann sich der Alltag chaotisch anfühlen – oder auch lebendig und dynamisch.


Beziehungen: Auch in sozialen Beziehungen spielen Exekutivfunktionen eine entscheidende Rolle. Sie ermöglichen dir, Familie, Freundinnen oder Kollegen aufmerksam zuzuhören, konstruktiv Feedback zu geben und empathisch auf die Gefühle und Bedürfnisse anderer einzugehen. Die Fähigkeit zur Emotionsregulation unterstützt dich, Konflikte positiv zu lösen und tiefe, erfüllende Beziehungen aufzubauen. Herausforderungen in diesem Bereich können zwar manchmal emotional anstrengend sein, bringen jedoch oft eine besonders ausgeprägte Sensibilität, Offenheit und tiefe Verbundenheit mit anderen Menschen mit sich.


Gesundheit: Bewusste Entscheidungen für deine körperliche und mentale Gesundheit zu treffen – sei es, regelmäßig Sport zu treiben, ausgewogen zu essen oder wichtige Gesundheitstermine wahrzunehmen – erfordert ebenfalls die Einbeziehung der Exekutivfunktionen. Falls die gesundheitsfördernden Aspekte in deinem Leben oft zu kurz kommen, können individuelle Strategien und Routinen nachhaltige positive Veränderungen ermöglichen.


Insgesamt sind Exekutivfunktionen also essenziell für deine Lebensqualität und dein Wohlbefinden. Indem du sie bewusst stärkst und gezielt unterstützt, kannst du sowohl Herausforderungen leichter bewältigen als auch deine individuellen Stärken und Potenziale noch bewusster entfalten.



Die Verbindung zwischen ADHS und Exekutivfunktionen


Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine der bekanntesten neurobiologischen Besonderheiten, die sich direkt auf die Exekutivfunktionen auswirkt. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Menschen mit ADHS häufig Veränderungen in den neurobiologischen Mechanismen aufweisen, welche die Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Selbstregulation steuern.


Dabei spielt besonders das Gleichgewicht der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin eine zentrale Rolle. Diese chemischen Botenstoffe halten dein inneres Steuerungssystem am Laufen. Wenn dein ADHS-Gehirn im präfrontalen Kortex weniger gut mit diesen Neurotransmittern versorgt ist, kann es sich anfühlen, als fährst du einen schnellen Sportwagen, aber deiner Boxencrew fehlen manchmal die nötigen Werkzeuge, um ihm Höchstleistung zu ermöglichen.


Strukturelle und funktionelle Unterschiede im präfrontalen Kortex, der Region deines Gehirns, die maßgeblich für Planung, Organisation und Impulskontrolle verantwortlich ist, können erklären, warum du vielleicht in manchen Situationen deine Aufmerksamkeit nicht so gezielt steuern kannst, Impulse schwerer zu kontrollieren sind oder es herausfordernd ist, Abläufe effektiv zu planen.


Doch ADHS bedeutet keineswegs nur Schwierigkeiten – im Gegenteil! Viele Menschen mit ADHS verfügen über bemerkenswerte Stärken wie hohe Kreativität, große Flexibilität, schnelle Auffassungsgabe, starke Empathie oder die tiefe Konzentration im Hyperfokus.


Im Coaching verfolgen wir deshalb einen wertschätzenden und ausgleichenden Ansatz: Gemeinsam arbeiten wir daran, die besonderen Stärken deines „inneren Sportwagens“ zu nutzen und gleichzeitig gezielt Strategien zu entwickeln, die deinen „Boxenstopp“ optimieren und unterstützen. So kannst du die vielfältigen Ressourcen, die in dir stecken, optimal zur Geltung bringen.



Wie können Exekutivfunktionen gestärkt werden?


Exekutivfunktionen lassen sich gezielt und evidenzbasiert stärken. Verschiedene Ansätze haben sich in Forschung und Praxis bewährt und helfen dabei, diese kognitiven Fähigkeiten wirksam zu fördern:


Gesunder Lebensstil: Regelmäßige körperliche Aktivität, ausgewogene Ernährung und ausreichend Schlaf sind entscheidend für ein gesundes und leistungsfähiges Gehirn. Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass bereits moderate Bewegungseinheiten wie schnelles Gehen, Radfahren oder kurze Intervalltrainings das Arbeitsgedächtnis und die Impulskontrolle verbessern können – Dopamin wird ausgestoßen und ist dann für andere Aufgaben verfügbar. Auch eine ausgewogene Ernährung mit Fokus auf essenzielle Nährstoffe sowie eine umfassende Schlafhygiene können deine Exekutivfähigkeiten stärken.


Kognitive Trainingsprogramme: Spezielle Trainingsprogramme wie Neurofeedback wurden auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelt, um gezielt einzelne Exekutivfunktionen wie Arbeitsgedächtnis, Inhibition, kognitive Flexibilität und Planungsfähigkeit zu stärken. Diese Programme umfassen oft computergestützte Übungen, spielerische Anwendungen und kognitive Aufgaben, die nachweislich helfen können, exekutive Kompetenzen langfristig zu verbessern.


Smarte Hilfsmittel: Es gibt unzählige digitale und analoge Tools und Apps, die bei Zeitmanagement, Planung, Organisation usw. unterstützen und die das Denken ein Stück weit "outsourcen". Das bewusste Einsetzen von Hilfsmitteln wie Kalendern, Tagesplanern, digitalen Timern, Aufgabenlisten oder Body Doubling entlastet die Exekutivfunktionen und schafft geistige Ressourcen für andere wichtige kognitive Prozesse.


Strategien zur Selbstregulation: Methoden wie Achtsamkeit und Meditation sind wirksam, um Stress abzubauen, die Aufmerksamkeit zu fokussieren und die Emotionsregulation zu stärken. Regelmäßige Praxis fördert nachweislich die exekutiven Fähigkeiten und unterstützt langfristig die emotionale und kognitive Gesundheit.


Exekutivfunktionen können also trainiert und gestärkt werden. Gezielte Interventionen und Lebensstiländerungen helfen dabei, ihre Funktionsweise nachhaltig zu verbessern und positive Effekte im Alltag zu erzielen. Ein fundiertes Verständnis über die neurobiologischen Grundlagen dieser Fähigkeiten ermöglicht es, effektive Strategien und Ansätze zur Förderung und Unterstützung zu entwickeln.



Was du heute direkt ausprobieren kannst


  • Aktivieren: Mache 10 Liegestütze oder einen schnellen Spaziergang, bevor du dich an eine anspruchsvolle Aufgabe setzt. Das ausgeschüttete Dopamin stärkt die Konzentration.


  • Zwei-Minuten-Regel: Dauert etwas weniger als 120 Sekunden? Mach es sofort und entlaste dein Arbeitsgedächtnis. Der Benefit: Du musst nicht mehr dran denken!


  • Visueller Timer: Stelle sichtbar ein, wie lange du an einer Sache arbeiten wirst, auch wenn es nur 10 Minuten sind. Das macht Zeit besser spürbar.


  • Emotionen-Ampel: Rot = überreizt, Gelb = unausgeglichen, Grün = harmonisch. Checke regelmäßig deinen Status und reguliere dich aktiv mit Dingen, die dich zurück zu Grün bringen.



Dein persönliches EF-Profil – ein wichtiger Wegweiser


Ein individuelles Profil deiner Exekutivfunktionen bietet dir wertvolle Einblicke in deine ganz persönliche kognitive Landschaft. Durch dieses Profil erkennst du klar und verständlich:


  • Deine individuellen Stärken, die du bereits intuitiv nutzt und künftig noch gezielter einsetzen kannst.


  • Deine persönlichen Wachstumsfelder, für die es effektive Strategien gibt.


  • Wichtige Zusammenhänge, die dir zeigen, warum bestimmte Herausforderungen auftreten und wie du diesen erfolgreich begegnen kannst.


Das EF-Profil ist kein klinischer Test, sondern ein konstruktives Werkzeug, das dir Klarheit und neue Perspektiven eröffnet. Viele Menschen erleben diese Erkenntnisse als eine große Erleichterung und berichten, dass sie danach deutlich gezielter handeln und zufriedener ihren Alltag gestalten können.


Hast du Lust, diesen spannenden Schritt zu machen und herauszufinden, wie du deine individuellen Ressourcen bestmöglich nutzen kannst? Im Coaching können wir dein persönliches Profil erstellen. Vereinbare jetzt dein kostenfreies Erstgespräch – gemeinsam schauen wir, wie ich dich am besten unterstützen kann.



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