Zeitmanagement mit ADHS im Beruf
- Susanne Debbas
- 31. März
- 4 Min. Lesezeit

Morgens bist du oft spät dran, fühlst dich gehetzt, stehst im Job unter enormem Zeitdruck und fragst dich, wo deine Zeit eigentlich bleibt? Gerade Erwachsene mit ADHS erleben diese Situationen oft besonders intensiv.
Zeitgefühl, Aufgabenplanung und Energie hängen bei ADHS eng zusammen – und genau hier liegen sowohl Herausforderungen als auch Chancen.
Herausforderungen und Chancen im Zeitmanagement bei ADHS
Menschen mit ADHS fällt es oft schwer, Zeit realistisch einzuschätzen – wir sprechen dabei von „Time Blindness“ oder Zeitblindheit. Dabei handelt es sich um eine verzerrte Wahrnehmung der Zeit, wodurch Aufgaben entweder kleiner oder größer erscheinen, als sie tatsächlich sind.
Dies kann zu einer häufigen Fehlplanung und dauerhafter Überforderung führen. Da Zeit, Aufgaben und die eigene Energiekurve eng verknüpft sind, resultieren daraus oft Stress und Frustration.
Doch es gibt auch positive Aspekte: Erwachsene mit ADHS haben oft besondere kreative Fähigkeiten und Flexibilität im Umgang mit Herausforderungen. Außerdem kann Arbeiten im Hyperfokus auch eine große Effizienz und sogar den Ausgleich von "verlorener" Zeit darstellen. Durch bewusste Reflexion und angepasste Strategien kannst du deine individuellen Stärken erkennen und gezielt einsetzen.

Zeitgefühl verbessern – Verständnis für dein Zeitmanagement entwickeln
Ein zentraler Faktor für ein gelingendes Zeitmanagement bei ADHS ist das Verständnis deiner eigenen Zeitwahrnehmung. Forschungen zeigen, dass Menschen mit ADHS oft Schwierigkeiten haben, Zeiträume realistisch einzuschätzen.
Einen Bericht zu schreiben erscheint wie eine lange, ermüdende Bergtour? Ein Brainstorming zum nächsten Projekt dagegen wie ein erfrischender Spaziergang im Frühling? Das kann sich so anfühlen, geht aber gleichzeitig oft mit unrealistischen Zeitplanungen einher.
Diese Schwierigkeiten basieren auf neurobiologischen Unterschieden in der Arbeitsweise bestimmter Hirnregionen, die für Zeitgefühl und Selbstorganisation zuständig sind.
In meiner Coaching-Praxis erlebe ich regelmäßig, wie hilfreich es sein kann, das eigene Zeitgefühl durch bewusste Beobachtung zu trainieren. Ein konkretes Beispiel: Eine Klientin bemerkte erst durch systematisches Messen, wie lange bestimmte Aktivitäten tatsächlich dauern, und dass sie für ihre morgendliche Routine eigentlich doppelt so lange braucht, als sie bisher dachte. Mit dieser Erkenntnis konnte sie einen realistischeren und damit stressfreieren Tagesplan erstellen.
Probiere selbst:
Schätze vor einer Aufgabe, wie lange du wohl dafür brauchen wirst. Miss anschließend die tatsächlich benötigte Zeit und vergleiche dann mit deinen ursprünglichen Einschätzungen.
Reflektiere: Welche Zeiten habe ich richtig eingeschätzt? Wo gab es größere Abweichungen? Was bedeutet das für das nächste Mal, wenn ich diese Aufgabe angehe?

Effektive Strategien für spielerisches und flexibles Zeitmanagement
Routinen aufbauen, in den Flow kommen
Erwachsenen mit ADHS fällt es oft schwer, langfristige Routinen aufzubauen, weil ihnen klassische Ansätze zu langweilig oder starr erscheinen. Evidenzbasierte Ansätze zeigen, dass spielerische, visuelle und belohnende Methoden besonders wirksam sind.
Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein Klient nutzte erfolgreich die Brili-App – die ich mit meinem Team speziell für Erwachsene mit ADHS entwickelt habe – um seine Morgenroutine spielerisch und visuell unterstützt zu gestalten. Durch den individuellen und interaktiven Ansatz wurde das Erstellen und Einüben von Routinen zur motivierenden Herausforderung statt zur Belastung.
Probiere selbst:
Experimentiere mit Routine-Apps, um ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, welche Aufgaben wie viel Zeit benötigen – um pünktlich bei der Arbeit zu sein, strukturiert durch den Arbeitstag zu kommen oder unliebsame Aufgaben gedanklich zu zähmen, indem du sie in kleine Schritte unterteilst und einen Flow daraus machst.
Erstelle dir visuell ansprechende Checklisten mit motivierenden Bildern oder Farbcodierungen und zusätzlichen Zeitangaben bzw. Deadlines.
Pausen individuell und strategisch einsetzen
Regelmäßige Pausen sind entscheidend, um nachhaltig produktiv zu bleiben und nicht auszubrennen. Wissenschaftlich belegt ist, dass durch regelmäßige Pausen die Aufmerksamkeitsspanne und die Leistungsfähigkeit signifikant gesteigert werden.
Probiere selbst:
Experimentiere bewusst mit unterschiedlichen Pausen-Intervallen. Liegen dir eher viele kurze Pausen oder eine lange Pause zu Mittag?
Probiere verschiedene Aktivitäten in deinen Pausen aus und registriere, welchen Effekt sie auf dich haben: Eine Tasse Tee in einem ruhigen Raum? Ein paar tiefe Atemzüge an der frischen Luft? Ein kurzes Gespräch mit Kollegen? Etwas Bewegung?
Ablenkungen reduzieren durch kreative Visualisierung
Ablenkungen sind bei ADHS ein zentrales Thema, beeinflussen die Wahrnehmung der Zeit erheblich und kosten viel Kraft. Studien zeigen, dass visuelle Hilfsmittel, die Ablenkungen reduzieren und klare Struktur bieten, besonders wirksam sind.
Ein Beispiel aus der Coaching-Praxis: Eine Klientin visualisierte ihren Tag, der besonders wichtige und auch unangenehme Aufgaben enthielt, als farbige Wegstrecke mit Abbiegungen, Stopps und wichtigen Meilensteinen. Aufgaben wurden zu Stationen, Ablenkungen zu sichtbaren Hindernissen. Diese kreative Visualisierung half dabei, Ablenkungen gezielt zu vermeiden und den Zeitplan durchzuziehen.
Wer es einfacher mag: Auch ein nett formuliertes Schild an der Tür mit der Botschaft "Bitte nicht stören" kann Wunder wirken, wenn du vorher ggf. gut kommunizierst, warum das für dich wichtig ist, ob Menschen dich stattdessen auf anderem Weg erreichen können und wann du wieder zu sprechen bist.
Probiere selbst:
Überlege bewusst, was deine typischen Ablenkungen bei der Arbeit sind. Zu welchen Zeiten und in welchen Situationen?
Brainstorme verschiedene Strategien, wie du diese Hindernisse gezielt umgehen könntest.

Sinnvolle Tools für dein Zeitmanagement
Tools sind eine große Hilfe, wenn sie intuitiv zu bedienen sind und deine spezifischen Bedürfnisse adressieren. Viele Menschen mit ADHS profitieren insbesondere von visuellen Hilfsmitteln, die das Arbeitsgedächtnis unterstützen, und spielerischen Elementen, die motivierend wirken. Das alles lässt sich auch neurobiologisch erklären und ist daher wissenschaftlich gut belegt.
Beispiele für digitale Tools:
Forest: Digitale Ablenkungen werden hier auf spielerische Art reduziert, als Resultat kannst du deinem Wald beim Wachsen zusehen.
Time Timer: Zeit und Zeitverlauf wird in dieser einfachen, aber wirkungsvollen App sichtbar gemacht.
Focus Mate: Im Sinne des Body Doubling verabredest du dich für eine begrenzte Zeit und erledigst deine Aufgaben währenddessen fokussiert.
Beispiele für analoge Tools:
Sanduhren und analoge Uhren: Der sichtbare Verlauf der Zeit kann dein Zeitgefühl deutlich verbessern.
Tagespläne und Kalender: Mit Time Boxing und Time Blocking kannst du in Tagesplänen eine klare visuelle Zeitplanung erstellen.
Bullet Journal: Ein gut strukturiertes Notizbuch kann nachweislich wirksam sein bei Planung, Reflexion und Strukturierung des Arbeitstages.
Probiere selbst:
Wähle ein oder zwei Tools aus, die dich spontan ansprechen, und führe ein kleines Experiment durch: Welches Tool hilft könnte hilfreich sein, welches stresst dich eher?
Betrachte diese Tools als flexible Hilfsmittel in deinem Werkzeugkoffer, die du bei Bedarf einsetzen kannst. Es muss ja nicht dogmatisch oder für immer sein.

Dein individuelles Zeitmanagement gezielt verbessern
Erfolgreiches Zeitmanagement bei ADHS beruht auf einer bewussten Auseinandersetzung mit den persönlichen Herausforderungen und Stärken und entsprechenden individuellen Strategien. Im ADHS-Coaching kannst du durch tiefergehende Reflexion und individuell angepasste Methoden sowie eigene Aktionspläne gezielt deine Zeit, Aufgaben und Energie besser steuern und effektiver einsetzen.